Theorie

 

Themenübersicht

 

 

 

Themen

 

I Vorbemerkungen

von Birgit Anna Schumacher und Uwe Jonas

 

I öffentlicher Stadtraum: Wandel und Okkupation

Eine Bestandsaufnahme von Uwe Jonas und Birgit Anna Schumacher

 

I öffentlicher Stadtraum und künstlerische Intervention

Statements von TeilnehmerInnen und Gästen des Symposiums im März 2004 - ausgewählt und moderiert von Uwe Jonas und Birgit Anna Schumacher I 1 IDie Statements der TeilnehmerInnen wurden redaktionell bearbeitet: wir haben sie grammatisch korrigiert, sprachlich geglättet und z.T. gekürzt.

 

I Reaktion und Widerstand

Eine Anekdote über Rezeption, Widerstand und eine künstlerische Intervention in eine künstlerische Arbeit. Erzählt von Leonie Baumann

 

I Im Geschiebe

von Christian Hasucha

 

I Was Kunst im öffentlichen Raum kann

Eine Bestandsaufnahme von Martina Reuter (WochenKlausur)

 

I Der öffentliche Raum als Raum des kollektiven Bewusstseins

von Matthias Schamp

 

I Neuköllner Spielplätze

Versuch einer Situationsbeschreibung von Andrea Knobloch

 

I Das Mobiltelefon und der öffentliche Raum

von Peter Arlt

 

 

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Vorbemerkungen

von Birgit Anna Schumacher und Uwe Jonas

 

Die 'Kunst im öffentlichen Raum', oder - unmissverständlicher umschrieben: die künstlerische Intervention in öffentliche Belange, beschäftigt uns sowohl in unserer eigenen künstlerischen Arbeit als auch bei den Projekten, die wir organisierten (Zum Beispiel die 'Areale Neukölln' 2001 → www.areale-neukoelln.de) I 1 IZum Beispiel das 'Pilotprojekt Gropiusstadt' (2002-2005). Als Dorothea Kolland I 2 IDr. Dorothea Kolland ist u.a. Leiterin des Kulturamts Neukölln von Berlin uns anregte, in Neukölln wieder "etwas auf die Beine zu stellen", beschlossen wir, uns diesmal im Vorfeld theoretischer mit der Grundlage des Genres auseinander zu setzen: dem Phänomen des öffentlichen Raums. Der vielschichtige wissenschaftliche Diskurs, etwa in der Soziologie, und die auf der anderen Seite eher verhalten und mehr informell als offensiv geführte Diskussion zwischen KünstlerInnen, die im öffentlichen Raum agieren, motivierte uns, dem neuen Projekt mit künstlerischen Interventionen ein mehrtägiges Symposium voran zu stellen, um den theoretischen Diskurs zwischen den Beteiligten zu initiieren. Darüber hinaus regten wir die beteiligten KünstlerInnen an, ihre in einer zweiten Projektphase zu realisierenden Arbeiten einem gemeinsamen Ansatz zu verpflichten: sich über eine örtliche (soziale, historische oder architektonische) Kontextorientierung hinaus auch dem mehr globalen Phänomen 'öffentlicher Raum' und seinen gegenwärtigen Ausprägungen in unseren Städten zu widmen.

 

Wir haben dem Projekt mit "Okkupation" einen Titel gegeben, der sowohl eine provokative, vielleicht sogar aggressive Option vermuten lässt, andererseits aber auch der stilleren oder heimlichen 'Besetzung' Rechnung trägt. Diese Ambivalenz ist nicht nur dem öffentlichen Raum eigen, sondern auch der Kunst, die in ihm ausgetragen wird. Positiv könnte eine gestalterische Option unterstellt werden: "Der öffentliche Raum, wie er mit allen möglichen Werbeträgern zugemüllt wird, muss zurückerobert und das heißt: gestaltet werden." I 3 IRoger M. Buergel im Gespräch mit Ursula Maria Probst in: Kunstforum Bd. 170 (2004), S. 375 Wobei es bei den temporären Eingriffen, die das Projekt realisieren will, um den Prozess der Eroberung geht, der eine Gestaltung - das heißt eine überführung einer künstlerischen Praxis in eine politisch-, gesellschaftlich- oder stadtplanerische Praxis - anregen könnte. Zahlreiche der für 'Okkupation' vorgeschlagenen Interventionen besitzen dieses Potential, doch wir verweigern uns dann, wenn wir die künstlerische Intervention nur mehr wertschätzen dürfen, wenn sie partizipative oder sozialarbeiterische Züge trägt I 4 ISiehe hierzu auch Hal Foster: Mit Verlaub. In: Texte zur Kunst, Heft 54, 14. Jahrg. (2004) , denn "Kunst ist kein Reparaturunternehmen, sondern blickt über den Tellerrand dessen, was uns politisch gegeben ist." I 5 I(ebd.). Und genau hierin liegt ihre Qualität.

 

Ist die "Kunst im öffentlichen Raum" nicht längst überholt und "kalter Kaffee" - wie wir bei einem vergangenen Projekt hören mussten? Diese Einschätzung erinnert an die auch alle Jahre wiederkehrenden Ausrufe: "Die Malerei ist tot", "lang lebe die Malerei" - und so fort. Stephan Schmidt-Wulffen hat für diese Diskussion einen neuen Argumentationsstrang eröffnet, dessen Kern die heutigen ökonomisierungs- und Sparsamkeitsdebatten verinnerlicht: "(...)ein Problem scheint ja zu sein, dass man ein Ausstellungsprojekt macht und jedem Künstler 5.000 Euro gibt (thematisiert wird hier ein Wiener Projekt für Kunst im öffentlichen Raum, bei dem ein Preis- und Realisierungsgeld von 5.000 Euro ausgeschrieben wurde, d. Verf.) und hofft, dass er sich im öffentlichen Raum sichtbar macht. Aber das kann man nicht mit 5.000 Euro, weil es eben teurer ist als im White Cube." I 6 IStephan Schmidt-Wulffen im Gespräch mit Ursula Maria Probst in: Kunstforum Bd. 170/2004, S. 381-382. S.382 Ohne die klägliche Situation der meist unterfinanzierten Projekte der bildenden Kunst - ob in der öffentlichkeit oder im White Cube - als Innovationsmotor o.ä. glorifizieren zu wollen, muss das monetäre Argument hinsichtlich der Tatsache in Frage gestellt werden, dass es Kunst gibt, die nichts oder fast nichts kostet und sehr viel Aufmerksamkeit erregt - und andersherum. Die Kategorie des Sichtbaren führt ebenso in die Irre: Es kann bei der Kunstproduktion nicht darum gehen, wie viele Menschen das Werk nach seiner Fertigstellung bemerken, Kunst spiegelt sich nicht in ökonomischen Kategorisierungen wie Geld oder eben Zeit. Auf der anderen Seite nimmt natürlich der ökonomische Druck auf die Institutionen der Kunstvermittlung zu und der Verweis auf Besucherzahlen wird zum Argument (das aktuelle Beispiel der MoMA Ausstellung in Berlin spricht Bände). Diese Entwicklung macht es notwendig, wieder auf Gedanken der frühen 1970'er Jahre hinzuweisen: "Kultur muss so artikuliert, angeboten und dargeboten werden, dass der Rezipient nicht von vornherein in eine 'Weihestunde des Geistes' versetzt wird, sondern er Kultur, nicht zuletzt aufgrund der Syntax, Semantik und Pragmatik von 'Kulturwerbung', als alltägliche Angelegenheit begreift. Kunst ist keine Walhalla, der sich der Geist devot zu nähern hätte; Kultur ist etwas, das man wie soziale oder politische Probleme 'ungeniert' anpacken kann und soll." I 7 IHermann Glaser: Vom Umgang mit der Kulturpolitik. In: Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament. Bonn, Nr. 52 vom 23.12.1972, S. 3-12. S. 8

Wenn infrage gestellt wird, dass Kunst im öffentlichen Raum heute (noch) ein zu beachtendes Genre ist, basiert dies zumeist auf einem gravierenden Missverständnis: nämlich auf der Annahme, Kunst im öffentlichen Raum wäre 'Museumskunst', die auf die Straße transportiert wird. Diesem falschen Verständnis des Genres schließt sich (logischerweise) die Frage an, ob der Unterschied zwischen öffentlichem Raum und Museumsraum nicht ein künstlicher ist. I 8 IVgl. Stephan Schmidt-Wulffen a.a.O. Kunst im öffentlichen Raum wird aber nicht aus den Museen nach draußen transportiert, sondern explizit für den öffentlichen Raum und öffentliche Publika von KünstlerInnen entwickelt, die sich entschieden haben, dort zu arbeiten. Die selben KünstlerInnen sind z.T. auch in Museen oder Galerien anzutreffen, dort allerdings mit Werken, die für die Präsentation im (musealen) Kunstkontext erdacht wurden. Nicht zuletzt sind Orte wie Museen Räume, in denen die bildende Kunst auf die Ebene der Kunstvermittlung reduziert wird I 9 ISiehe hierzu auch Elisabeth Dühr (1991). Kunst am Bau - Kunst im öffentlichen Raum. Frankfurt a. M. S. 155 ff. , die Kunst in der öffentlichkeit hingegen setzt eher auf Kunsterfahrung. Die Frage nach Relevanz oder Redundanz von Kunst im öffentlichen Raum kann also nur unter Berücksichtigung ihrer Grundlagen beantwortet werden.

 

'Okkupation' in Neukölln

Den Projekten, die wir zuvor in Neukölln realisiert haben, verdanken wir eine gute Ortskenntnis und eine Vertrautheit mit bestimmten administrativen Strukturen, was für die Vorbereitung und Realisierung von Kunst im öffentlichen Raum mehr als hilfreich ist. Entscheidend aber für das Projekt ist die Vielschichtigkeit des Bezirkes: Neukölln beherbergt sehr dicht besiedelte Altbauquartiere, aber auch Einzelhaussiedlungen in der Peripherie, Wohnensembles der 1920'er Jahre, Industriegebiete, und mit der Gropiusstadt eine Trabantenstadt, in der es die größte Shopping-Mall Berlins gibt. Ebenso vielschichtig wie die räumliche Struktur sind seine BewohnerInnen: Menschen aus über 160 Nationen leben in diesem - bis zur Bezirksfusion - größten (und zugleich sozial schwachsten) Berliner Bezirk. Die Erfahrungen, die wir und die KünstlerInnen 2001 bei der 'Areale Neukölln' I 10 IDie 'Areale Neukölln' fand zwischen Juni und November 2001 statt. In dieser Zeit wurden 17 Interventionen in der öffentlichkeit realisiert (www.areale-neukoelln.de) im Umgang mit den NeuköllnerInnen gesammelt haben, sprechen klar für den Bezirk: Hier wird der Kunst, die sich in den Lebensraum und in alltägliche Gewohnheiten einmischt, offen und gesprächsbereit begegnet. Die 'Reibungen', die solche Kunst gelegentlich verursacht (und dies ja auch will), führten nie zu Reaktionen, die auf völlige Ablehnung hingedeutet hätten - etwa in Form von Beschädigungen oder Zerstörungen von Arbeiten. Vielmehr wurde den Projekten mit kritischem Interesse begegnet: nicht nur die KünstlerInnen intervenierten in Wohn- und Lebensumfelder, sondern auch sie selbst wurden vor ungewohnte und mitunter provokative Fragen gestellt. Ein solcher Reibungsprozess mit BewohnerInnen würde in Szene-Bezirken der Stadt wahrscheinlich nicht zu Tage treten, denn die 'neuen Hedonisten' interessieren sich im allgemeinen wenig für das, was sich außerhalb ihrer Wohnungen, Arbeitsräume und den Orten ihrer Selbstinszenierung abspielt.

 

'Okkupation' im Internet

Neben den Ideenskizzen, die für die Realisierungsphasen des Projekts von den KünstlerInnen vorgeschlagen wurden, finden Sie unter der Rubrik "Theorie" Texte, die im Zuge der Vor- und Nachbereitungen des Symposiums 'Okkupation' (März 2004) verfasst worden sind. Es beginnt mit einer Theoriediskussion, die im Sommer 2003 in ihrer ersten Ausführung unter dem Titel "Okkupation - Wider den Verlust öffentlichen Raums" den KünstlerInnen als Grundlage für eine Diskussion diente und auch Basis des Symposiums war. "Statements von TeilnehmerInnen und Gästen des Symposiums" gibt einen ausgewählten Teil der Vorträge und Diskussionen des Symposiums wieder und gewährt einen Einblick in die verschiedenen Sichten, Denkweisen und Ansatzpunkte der TeilnehmerInnen im Bezug auf die Verortung des öffentlichen Raumes, sowie auf die daraus resultierenden künstlerischen Praktiken. Gäste des (ansonsten nicht-öffentlichen) Symposiums I 11 IUm das Symposium so effektiv wie möglich zu gestalten, hatten wir uns entschieden, es intern (also lediglich unter Teilnahme der KünstlerInnen von 'Okkupation' und ausgewählten Gästen) zu veranstalten, um einen intensiven Diskurs innerhalb der Projektbeteiligten zu gewährleisten. waren Dorothea Kolland, Harald Ramm (Beauftragter für dezentrale Kulturarbeit), Leonie Baumann (Geschäftsführerin der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst) und Monica Schümer-Strucksberg, die bis Mai 2004 das Programm 'Soziale Stadt' der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung betreute. Im Anschluss finden Sie Beiträge von KünstlerInnen des Symposiums, die sich in der Vergangenheit sowohl praktisch (mit künstlerischen Projekten) als auch theoretisch, etwa in eigenen Publikationen oder theoretisch orientierten Veranstaltungen zum Thema, auseinander gesetzt haben.

Die Rubrik "Ideen" präsentiert die von den KünstlerInnen im Anschluss an das Symposium und den viertägigen Aufenthalt in Neukölln erarbeiteten Projektideen. Diese Ideen betrachten wir als gewichtigste Ergebnisse von 'Okkupation - Phase 1'. Nicht alle Ideen können so realisiert werden, wie von den KünstlerInnen konzipiert: einige mussten weniger, andere mehr modifiziert werden, Ingo Gerken und Tazro Niscino mussten aufgrund erheblicher Widrigkeiten "im Feld" gänzlich neue Ideen entwickeln. Dies ist jedoch ein ganz "natürlicher" Prozess, wenn es darum geht, eine Projektidee im realen Kontext des öffentlichen Raums umzusetzen. Doch leider führte auch ein anderer Faktor teilweise zu inhaltlichen Modifizierungen der Ideen - das sogenannte liebe Geld: 'Okkupation' arbeitet mit einem finanziellen Budget, das um ein Drittel des ursprünglich errechneten Kostenvolumens reduziert werden musste. Die KünstlerInnen waren also vor die schwierige Aufgabe gestellt, sehr kostengünstige Umsetzungen für ihre Ideen zu entwickeln. In einem einzigen Fall konnte jedoch keine andere Lösung als das Ausscheiden gefunden werden: Bei der Umsetzung der Idee "Diskussion auf Bestellung" der Wiener Gruppe WochenKlausur konnte aufgrund ihrer spezifischen Arbeitsstruktur kaum eingespart werden. Wäre sie realisiert worden, hätten alle anderen Arbeiten noch rigorosere Einschnitte erfahren müssen. Und weil die Gefahr bestand, dass darunter dann jede einzelne Arbeit, aber auch der Gesamtentwurf von 'Okkupation' an Ausdruckskraft verlieren könnte, bot die WochenKlausur ihren Rücktritt an. Dass uns keine andere Wahl blieb, als dieses Angebot schließlich anzunehmen, bedauern wir sehr.

 

 

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