Okkupation I Reaktion und Widerstand

Reaktion und Widerstand

von Leonie Baumann

 

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'Zur Zeit läuft auf dem U-Bahnhof Alexanderplatz I 1 IIm Rahmen des künstlerischen Wettbewerbs der NGBK 'Alexanderplatz U2' das Projekt von Aage Langhelle, einem norwegischen Künstler, der alle 32 Hintergleisflächen bespielt. Er hat den Schriftzug 'DDR' genommen und ihn in Kleinschreibung in vermeintlich gängige Werbelogos transportiert. Wenn Sie genau hinsehen, werden Sie feststellen, dass sie immer aus urheberrechtlichen Gründen leicht verändert sind. Aber es sind die Logos, die für Waschmittel, für Tourismusbüros, für Schuhfirmen usw. benutzt werden. Langhelle hat diese Idee realisiert, weil er der Meinung war, dass hier ein Transformationsprozess vorläge: Als die DDR zu Grunde gegangen ist, hatten alle Menschen die Hoffnung auf Freiheit und auf ein schönes und besseres Leben. Stattdessen ist reiner Kommerz an die Stelle der früheren Staatsform getreten. Dies ist, kurz gefasst, seine These. Um dieses Projekt rankt sich - für mich unerwartet - eine große Auseinandersetzung hinter den Kulissen. Die FDP hat im Abgeordnetenhaus eine Anfrage gestellt, ob der Senat mit öffentlichen Mitteln einen öffentlichen Raum zur Verherrlichung eines Unrechtssystems benutze. Der Senat hat die Anfrage nach Rücksprache mit uns beantwortet: Hier handele es sich um einen Kunstort, der schon, wie Nutzer der U-Bahn wüssten, seit ewigen Zeiten mit Kunst bespielt wird. Außerdem sei dies ein Kunstprojekt, das von einem Kunstverein organisiert wird, wo eine Jury auswählt und in deren Entscheidungen der Senat nicht hinein redet.

Ein anderer Kommentar kam aus der Sprayerszene: Eines Tages war eine 'ddr'-Tafel entfernt und durch eine andere, perfekte Tafel mit dem Logo 'CBS' ersetzt worden. Das Logo einer hier in Berlin sehr bekannten Sprayergruppe. 'CBS' tauchen immer wieder im Stadtraum auf und haben sich selbst die Aufgabe gestellt, an den ungewöhnlichsten Orten mit ihrem Logo Aufmerksamkeit zu erregen. Sie haben, und das muss man sich vorstellen, völlig unbemerkt von allen Sicherheitskräften und Fahrkartenschaltern, eine Riesentafel von fast dreieinhalb Metern abmontiert, ihre eigene Tafel angebracht und unsere Tafel weggetragen. Selbst Mitglieder der NGBK- Arbeitsgruppe haben gesagt, dass sie vor Ort diese Intervention zunächst gar nicht bemerkt hätten. Im Netz wurde natürlich diese waghalsige Aktion der Sprayerszene als herausragendes Ereignis diskutiert. Der Künstler hingegen war sauer. Wir haben einen Strafantrag gestellt, und ich habe sofort verlautbaren lassen, dass wir in dem Moment, in dem wir die Arbeit wieder bekommen, den Strafantrag zurückziehen würden. Immerhin war Kunst gestohlen worden. Allein die Tafel hat einen Materialwert von 6.000 bis 7.000 Euro. Inzwischen ist die Diskussion im Netz schon Vergangenheit - die Szene ist schnelllebig. Aber wir haben eine anonyme Mail bekommen, dass diese Intervention vorgenommen wurde, weil die Arbeit von Langhelle auf Unverständnis gestoßen ist: 'CBS' ist der Meinung, diese Arbeit verstärke nur die gängigen Werbemechanismen und setze sich nicht kritisch mit Werbestrategien auseinander. Deswegen hätten sie ihr eigenes Logo als Protest zwischen die Arbeiten platziert. Inzwischen aber hatte 'CBS' ihr Logo - wieder völlig unbemerkt - abmontiert und die 'ddr'-Arbeit von Langhelle an der Fassade des Kaufhofs am Alexanderplatz angebracht. Der Kaufhof rief uns natürlich an, dass dieses Logo an ihrer Fassade hinge und sie es wieder abmontieren würden. Wir haben den Strafantrag zurückgenommen, werden aber dennoch zu der Stellungnahme von 'CBS' Position beziehen: Weil 'CBS' eben der Meinung ist, dass dieses Kunstprojekt im öffentlichen Raum zu weit gegangen ist. Dies ist eine durchaus ernst zu nehmende Position. Auch wenn ich finde, dass sie da eigentlich ein bisschen antiquiert argumentieren.'

 

 

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