WochenKlausur

 

Die Projektidee der WochenKlausur kann im Rahmen von OKKUPATION aufgrund eines finanziellen Fehlbedarfs, der weder durch öffentliche noch private Förderungen gedeckt werden konnte, nicht realisiert werden. Da die Idee für "Diskussion auf Bestellung" auch als Ergebnis des Symposiums OKKUPATION zu betrachten ist, wird sie trotzdem im folgenden dokumentiert.


Martina Reuter

Wolfgang Zinggl

Martina Reuter
(geb. 1959)
Wolfgang Zinggl
(geb. 1954)

leben in Wien
Diskussion auf Bestellung

Üblicherweise sind Vorträge und Diskussionen zu öffentlichen Themen aus Kultur und Gesellschaft zwar für alle zugänglich, letztlich aber dann doch nur für ein 'Insider'-Publikum bestimmt. Das liegt weniger am fehlenden Interesse des breiteren Publikums, als vielmehr an der Praxis und der Form, wie die Themen aufbereitet werden.

In demokratischen Gesellschaften definiert sich der öffentliche Raum im Gegensatz zum privaten über die Möglichkeit zur Mitbestimmung seiner BürgerInnen. Diskussionsveranstaltungen zu kommunalen Themen sind daher ein wichtiger Schritt im Vorfeld der Meinungsbildung und unabdingbar für den Diskurs und in weiterer Folge für die aktive Mitgestaltung an einer wirklich demokratischen Gesellschaft.

Wenn nun aber die Themen mit öffentlichem Interesse nicht genügend verständlich aufbereitet werden, wenn nicht einmal der neueste Informationsstand (worum ging es zuletzt, was soll entschieden werden) vermittelt wird, beruht jede Beteiligung und Mitsprache der Bevölkerung, wenn überhaupt, nur noch auf der Übernahme von populistischen Meinungen und Ansichten.

Es besteht ein Defizit an Zugängen zu gut aufbereiteten Themen, die sich nicht allein an ein Fachpublikum richten und die auch keine subjektive Meinungsmache sind. Damit da nichts falsch verstanden wird: Die Defizite bestehen auch bei der sogenannten Bildungsschicht. Wer zum Beispiel, außer BiologInnen, kann schon von sich behaupten, soviel von Gentechnik zu verstehen, dass ein emanzipiertes Mitreden möglich wäre? Wer, außer SoziologInnen, beschäftigt sich schon eingehend mit dem Konstrukt 'öffentlicher Raum'? Und doch gehen beide Bereiche alle was an. Aus Mangel an verständlicher Information und objektivem Austausch entsteht allerdings eine Argumentationsnot, die dazu verleitet, die Ansicht von Autoritäten unhinterfragt zu übernehmen, ideologisch favorisierten Meinungsgruppen nachzuplappern oder sich der Stimme völlig zu enthalten, scheinbar aus Desinteresse - in Wahrheit aber aus Scham wegen vordergründiger Inkompetenz.

Diskussion auf Bestellung: Ein mobiler Vortrags- und Diskussionsdienst zu aktuellen Themen aus Kultur, Bildung und Gesellschaft wird versuchen, dieses Defizit zu verringern. So wie sich Hungrige, die nicht ausgehen wollen, Pizza liefern lassen, sollen Hungrige nach geistiger Nahrung zu einem bestimmten Thema aus einem Menü von Vortrags- und Diskussionsangeboten wählen und sich zustellen lassen können.

Bestellt werden können Pakete zu unterschiedlichen Themen, jeweils bestehend aus einem Vortrag, als Impulsreferat ausgearbeitet, medial unterstützt mit Power Point Präsentation, Dias, Videos etc., und einer daran anschließenden Diskussion. Die bestellten Veranstaltungen können, müssen aber nicht für alle zugänglich sein. Im Unterschied zu anderen Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen kommen die Vortragenden zu den Interessierten und nicht umgekehrt. Und die Einladenden bestimmen die Zielgruppe, auf die der konzipierte Vortrag angepasst wird.

Jede öffentliche oder private Einrichtung, Institution oder Person in Berlin und Umgebung kann den Dienst gegen Bezahlung in Anspruch nehmen: Schulen ebenso wie Unternehmen, Universitäten wie Veranstalter, Privatpersonen wie Ämter, Ministerien wie Parteien. Die bestellenden Institutionen oder Personen laden das Publikum ein (z.B. exklusiv Schulklassen, Mitglieder oder Gäste).
Für den Bezirk Neukölln soll es eine extrem begünstigte Preisgestaltung geben.

Themenbereiche der ersten Angebote umfassen kulturelle und gesellschaftliche Diskussionen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Raum. Neue Ansprüche und Entwicklungen werden in den Medien oft nur kurz und manchmal auch sehr subjektiv oder für viele zu unverständlich abgehandelt. Zumindest wäre ein Einblick in ideengeschichtliche Zusammenhänge mancher Entwicklungen schon ein Schritt zur objektiveren Auseinandersetzung.

Die dafür nun konzipierten Impulsreferate zu ausgewählten Themen werden von Fachleuten begutachtet und in einigen Probeveranstaltungen an unterschiedlichen Populationen ausgetestet und entsprechend adaptiert.


Beispiele für die Startpakete

Paket 1
ARBEITSTITEL: 'Was hat das mit Kunst zu tun?'
THEMA: Kunst und öffentlicher Raum
Vortrag zur Ideengeschichte der zeitgenössischen Kunst mit einem Schwerpunkt auf den Funktionen der Kunst im öffentlichen Raum
DISKUSSION: Mit Kunst beschäftigen sich mehr Menschen als man denkt. Jeder Mensch hat eine Meinung über Kunst, schließlich gibt es kaum eine Wohnung, kein Spitalzimmer, keinen Warteraum, kein Konferenz- oder Amtszimmer ohne Bilder, kaum einen Bahnhof, Flughafen, Park oder Platz, an dem nicht irgendwo eine Skulptur oder Plastik anzutreffen ist. Und beruflich befassen sich nicht nur KünstlerInnen, KuratorInnen oder KunsttheoretikerInnen mit Kunst, es sind auch oft Finanzbeamte, Zollbeamte, Versicherungsangestellte, die entscheiden, was Kunst ist und was nicht. Ist Kunst im privaten Bereich nur eine Frage des persönlichen Geschmacks, so ist sie im öffentlichen Raum manchmal Anlass für Unverständnis und sogar für Aggression. Was ist das überhaupt, die Kunst? Was kann darunter verstanden werden, wie hat sie sich zu dem entwickelt, was sie ist, und hatte sie eigentlich immer schon die gleiche Bedeutung? Solche und ähnliche Fragen werden - ohne auf Namen oder Fachausdrücke einzugehen - erörtert.

Paket 2
ARBEITSTITEL: 'Was kann die Nike-Kappe besser als das Kopftuch?'
THEMA: Religionen und Kulturen im öffentlichen Raum
Vortrag zu Symbolen der Wirtschaft, der Kulturen und der Religionen als öffentlich verträgliche Symbole mit spezieller Betonung der gesellschaftlichen Vorstellungen des Islam
DISKUSSION: Dürfen türkische Mädchen und Frauen in der Schule Kopftücher tragen? Liegt die aktuelle Aufregung darüber wirklich nur daran, dass das Kopftuch ein Symbol für die Unterdrückung der Frauen im Islam darstellt? Warum hat man darüber nicht schon vor 5 oder 10 Jahren diskutiert, und warum wurde dann nicht schon längst in katholischen Ländern das Kreuz in den Klassenzimmern abgeschafft? Was wissen wir über die Lehre des Islam, über darin enthaltene Stellungnahmen zur Rolle der Frauen in der Gesellschaft?
Und selbst wenn alle religiösen Symbole in Schulen verboten werden, was ist mit all den Markenlogos von Großkonzernen auf Kappen, Schuhen, Taschen, die heute eine so wichtige Stellung für die Jugend einnehmen? Oft stehen hinter den wirtschaftlichen Erfolgen dieser Konzerne mehr als bedenkliche Ausbeutungsstrategien, gerade was Frauen betrifft.

Paket 3
ARBEITSTITEL: 'Was ist der schönste Bau im Kiez?'
THEMA: Architektur im öffentlichen Raum
Vortrag zu immer wieder kehrenden Fragen und Kriterien, wenn es um die Beurteilung von Gebäuden und Architektur in der Stadt geht, unter Berücksichtigung des Unterschiedes zur Einrichtung von Wohnungen.
DISKUSSION: Viele Menschen finden historische Stadtkerne schöner als die Stadtgebiete mit überwiegender Neubebauung. Alte Bauwerke, solche, die zumindest über 100 Jahre alt sind, finden alle schön, beeindruckend oder romantisch, deswegen zählen sie ja auch zum Sightseeing-Programm. Neuere Bauwerke finden nicht so allgemeinen Anklang. War das, was heute als so schön oder romantisch angesehen wird, auch sehenswert für die Menschen aus vergangenen Jahrhunderten? Was repräsentieren alte Bauwerke? Gibt es Kriterien für gute Architektur, oder ist die auch nur Geschmackssache?

WochenKlausur
Seit 1993 entwickelt die Künstlergruppe 'WochenKlausur' kleine, aber sehr konkrete Vorschläge zur Verringerung gesellschaftspolitischer Defizite und setzt diese Vorschläge auch um. Künstlerische Gestaltung wird dabei nicht mehr als formaler Akt, sondern als Eingriff in unsere Gesellschaft gesehen.
In diesem für 'Okkupation' entwickelten Projekt wird es die Aufgabe der WochenKlausur sein, eine Trägerorganisation in Neukölln für die Abwicklung des Projekts zu begeistern oder neu zu etablieren und diese mit einer Initialzündung zu versehen, die das Projekt ins Laufen bringt.
Zur Initialzündung gehört die inhaltliche Ausarbeitung der ersten drei Pakete und die Einschulung der Vortragenden, die über den Trägerverein das Projekt weiter führen sollen. Zur Initialzündung gehört aber auch das Publikmachen der Initiative in vielen Institutionen vor allem Neuköllns.
 
    Website: www.wochenklausur.at

 

 

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