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Im Geschiebe

von Christian Hasucha

 

 

1) Seit es den Kunsthandel gibt, ist es gängig, künstlerische Artikulationen isoliert, losgelöst vom Umgebenden zu betrachten. Ästhetisch bewertet werden sie oft durch vergleichendes Erinnern (mit bereits im Kunstkontext Gesehenem) oder durch direkte Gegenüberstellung. Bei öffentlichen Interventionen ist eine andere, offenere Wahrnehmungsweise erforderlich. Das Hier und Jetzt des Wahrnehmenden wird nicht ausgeklammert, im Gegenteil: es bildet das Wirtsgeflecht für das Attributive oder das Implantierte. Diese Art der öffentlichen Kunst konstituiert sich dialogisch. Mit einer isolierenden Betrachtungsweise können diese Arrangements nicht wahrgenommen werden. Die Ergebnisse eingreifender Methoden müssen also als Konstellation im Zusammenhang mit den umgebenden Determinanten unmittelbar und direkt gesehen und erfahren werden. Als Eingriffe sind sie ereignisgebunden und können nicht beliebig transferiert werden. Allerdings gibt es Anordnungen, die in vergleichbaren Situationen ähnliche Wirkung zeigen. Diese Joker - eher attributive Konstellationsprinzipien - werden von Künstlern gern wiedergängerisch genutzt, weil sie rationell inszeniert werden können und sichere Resonanz erwarten lassen. Aber auch hier gilt: für sich allein betrachtet, sind viele Setzungen und Eingriffe so banal wie jede andere Erscheinung des Alltags auch. Wird aber die Konstellation wahrgenommen, die zwischen Eingesetztem und jeweiligem Umfeld hergestellt wird, werden dessen strukturelle Zusammenhänge gesehen, kann der übergreifende, modellhafte Gedanke erkannt werden. Er ist das eigentliche Produkt dieser Arbeitsweise. Ist die Wahrnehmungsbereitschaft - wie heute wieder verbreitet - nur auf die Binnenform künstlerischer Produktion gelenkt, erschließt sich auch das Eigentliche einer interventionistischen Strategie nicht.

 

2) Weil das derzeitige institutionelle Ausstellungsmanagement die Kunst vielfach selbstdarstellerisch überlagert und sie markt- bzw. theorieorientiert präsentiert, weichen Interventionisten aus. Sie wählen angemessenere Erscheinungsformen für ihre prozesshaften Gestaltungen und Interventionsvorgaben, besonders dann, wenn sie die Riten und Abläufe des Alltagsgeschehens einbeziehen. In diesen Situationen interferieren die Arbeiten mit den vorhandenen Vernetzungen, akzentuieren Latentes, relativieren die Gegebenheiten und changieren im Geschiebe des Gewohnten zwischen Besonderheit und Zugehörigem.

 

3) Wenn das korrespondierende Fremde anonym und ohne Kunstetikett auftritt, erzeugt es Irritation und Abwehr, aber auch Neugier und Abgleichungsbedarf. Die Entscheidung, wie ein derart unvermutet auftretendes Phänomen zu bewerten ist, liegt zunächst allein beim Wahrnehmenden, der es in seiner alltäglichen Welt antrifft. Seine Wahrnehmungen werden hier kaum von Kunsttheorien gerastert, sie werden wenig von Erläuterungen, kommerziellen Einordnungen und Bewertungen verschüttet. Der subjektive Zugang, die individuelle Einschätzung und der Vergleich mit eigenen Erfahrungsmustern muss unter weitgehend ungeschützten Bedingungen stattfinden. Das Besondere dieser Phänomene wird vom unvorbereitet Konfrontierten wesentlich präziser registriert, als wenn ihm die Möglichkeit der Kategorisierung gleich mitgeliefert wird. Rasches Erfassen einer ungewohnten Situation ist notwendig; auf eventuelle Gefahren oder auch auf Vorteilbringendes muss angemessen reagiert werden. Es wird aber jeweils gerade soviel 'geprüft', wie zum Erkennen der jeweiligen Situation nötig ist. Die eigenen, subjektiven Erfahrungen sind der Maßstab, mit dem die wechselnde Umgebung eingeschätzt wird. Fremdes, dessen Zuordnung unklar bleibt, wird langfristiger skeptisch beobachtet. Möglichkeiten der Reflexion auf eigene Resonanz- und Wertbegriffe eröffnen sich. Hier kann künstlerisch angesetzt werden, um verschiedene Mitteilungsformen, abseits vom tradierten Kunstbegriff, zu erproben. Weder eine auratisierende Ausstellungsatmosphäre, noch kanonisierte Bewertungsmuster kanalisieren das so im Alltäglichen Gestaltete. Die hier auftretenden Erscheinungen müssen sich allerdings anderweitig behaupten können: gegen die Aufdringlichkeiten der Werbung, gegen die Regelungen, mit denen die Obrigkeit die Alltagsstrukturen zu steuern suchen, gegen den Verdacht, öffentliche Bespaßung zu bieten. Schön wäre es, wenn sich die Frage einstellt: Stehe ich nun vor einer seltsamen Verkettung von Umständen oder vor subtil Inszeniertem?

 

4) Je stärker sich die Intervention aus einer alltäglichen Situation heraus entwickelt und sich dann allmählich quer zu ihr stellt, desto intensiver wirken die irritierenden Momente; für Anwohner und regelmäßige Passanten trifft das folglich eher zu als für einmalige Besucher. Wer fußfreundliche Rundgänge zu punktuell präsentierten Ereignisfeldern inszeniert, hat demnach nur Zaungäste, denen das Geschehen in entsprechender Form zusätzlich vermittelt werden muss.

 

 

Definitionen:

 

Als IMPLANTATE bezeichne ich Fremdkörper, die durch Platzierung, Erscheinungs- und Einwirkungsform eine vorhandene Struktur oder ein Environment in beabsichtigter Weise beeinflussen. Affinitäten zwischen Implantat und Umgebung sind offensichtlich.

 

ATTRIBUTIVE PLASTIKEN sind Hinzufügungen, Wegnahmen oder Veränderungen innerhalb exemplarisch ausgewählter Situationen. Das Attributive bezieht sich auf die in Funktionszusammenhängen befindlichen Objekte und Phänomene und kann sich zur weiteren Umgebung diffus verhalten. Der Modellcharakter des Zusammenspiels kann an den veränderten Situationen abgelesen werden.

 

Sowohl das IMPLANTAT als auch die ATTRIBUTIVE PLASTIK sind Ergebnisse ÖFFENTLICHER INTERVENTIONEN, die unmittelbar als inszenierte EREIGNISSE auftreten können. Diese Ereignisse greifen in die Mechanismen des Alltagsgeschehens ein und lösen durch ihre Art des Auftritts, ihre Entwicklung, ihre Assimilation bzw. ihr inszeniertes Verschwinden bei den Passanten und Anwohnern konstruktives Befremden aus.

 

INTERVENTIONSVORGABEN bieten Handlungsoptionen in Verbindung mit entsprechend präparierten Konstellationen oder Gerätschaften. Sie ermöglichen die Erzeugung und Mitteilung ästhetischer Erfahrung sowie die Herstellung von und den Umgang mit IMPLANTATEN und ATTRIBUTIVEN PLASTIKEN.

 

 

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