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Öffentlicher Stadtraum und künstlerische Intervention

von Uwe Jonas und Birgit Anna Schumacher

 

Themenübersicht

 

 

 

Ein Ziel des Symposiums war, das Phänomen 'öffentlicher Stadtraum' einer Bestandsaufnahme zu unterziehen, die auf Erkenntnissen der Stadtsoziologie, -forschung und -planung basiert, und diese Bestandsaufnahme auf ihre aktuelle Relevanz hinsichtlich der künstlerischen Intervention im öffentlichen Raum zu überprüfen. Drei Tage des insgesamt viertägigen Symposiums dienten diesem Diskurs, bei dem sich Vorträge und Präsentationen von KünstlerInnen und Gästen I 1 I mit Diskussionen abwechselten. Im folgenden stellen wir diejenigen Ergebnisse vor, die uns beachtenswert erscheinen, und lassen dabei in erster Linie die TeilnehmerInnen selbst zu Wort kommen.

 

 

I. Der öffentliche Raum

 

Der Stadtsoziologe Peter Arlt eröffnete das Symposium mit einem Referat über den öffentlichen Raum. In seiner Einleitung behauptete er, dass es den öffentlichen Raum als einen für alle jederzeit frei betretbaren, frei zu nutzenden und darüber hinaus als gesellschaftlich integrativen Ort nie gegeben hat: Dies sei ein (bürgerliches) Konstrukt, auf das sich hartnäckig alle berufen, wenn sie über den aktuellen öffentlichen Raum diskutieren und ihn kritisieren. Öffentlicher Raum ließe sich nicht ein für allemal definieren, denn er unterliege einem beständigen Wandel. Seiner Grundthese, die er mit der Aussage 'den öffentlichen Raum gibt es nicht' provokativ zuspitzte, begegneten die KünstlerInnen mit deutlichem Widerspruch und forderten sowohl einen weniger rigiden Umgang mit der Begrifflichkeit, als auch infrage zu stellen, ob sich öffentlicher Raum erst durch seine Belebtheit konstituiert - der Einstieg in eine anregende Diskussion, die in ihrem weiteren Verlauf von den Möglichkeiten und Grenzen im öffentlichen Raum über die Bildung sinnvoller Definitionskriterien bis hin zum Phänomen der pseudo-öffentlichen Shopping-Mall und dessen Auswirkungen führte.

 

Öffentlicher Raum ist mehr als eine Konstruktion

 

Matthias Schamp:

'Der Begriff oder die Vorstellung 'öffentlicher Raum' ist natürlich erst einmal ein Konstrukt, das einer Historizität unterworfen ist und deshalb per Definition nicht völlig eingegrenzt werden kann. Ganz nach dem Motto: Das ist der öffentliche Raum, damit ist die Sache klar. Aber es ist kontraproduktiv, wenn man mit einer These arbeitet wie, 'es gibt keinen öffentlichen Raum'. Man sollte stattdessen davon ausgehen, dass es keine Absolutheit des öffentlichen Raums gibt.'

 

Kathrin Böhm:

'Öffentlicher Raum, der einmal als solcher ausgewiesen war, kann längere Zeit brach liegen, langweilig sein oder vergammeln, ohne dass ihm das Recht, ein öffentlicher Ort zu sein, abgesprochen wird. Ich widerspreche, wenn gesagt wird, dass öffentlicher Raum nur durch Nutzung entsteht - ein geläufiges Argument, das dahingehend missbraucht werden kann, um ihn ganz legitim zu veräußern. Wenig genutzter oder vollständig ungenutzter öffentlicher Raum muss jedoch als Option für einen aktiven öffentlichen Raum bewahrt werden.'

 

Möglichkeiten und Grenzen im öffentlichen Raum müssen durch Handlung erprobt werden

 

Peter Arlt:

'Ich glaube, dass der theoretische Diskurs über den öffentlichen Raum feststeckt, nicht mehr vom Fleck kommt und daher nicht mehr zu Handlungen führt. Ich glaube aber nicht, dass man den öffentlichen Raum durch theoretische Diskussion retten kann - zumindest nicht alleine dadurch. Vielmehr bedarf es der konkreten Handlung im öffentlichen Raum. Was passiert, wenn ich einen Tisch unten auf der Straße aufstelle? Wie lange steht er da? Muss ich eine Strafe zahlen oder nicht? Welchen Regeln begegne ich? Es geht darum, es auszuprobieren! Dies meine ich tatsächlich als Aufruf, es einfach zu tun, um dann zu erfahren, wo eigentlich die Grenzen des öffentlichen Raums sind. Und um zu erfahren, welche Möglichkeiten ich ausschöpfen kann.'

 

Andre Mesman:

'Geh hinein und nehme den öffentlichen Raum zurück, anstatt abzuwarten.'

 

Kathrin Böhm:

'Man sollte dem öffentlichen Raum mehr zutrauen, auch wenn einen viele Negativbeispiele abschrecken. Der öffentliche Raum kann Qualitäten generieren, die ihm eigen und nur dort erfahrbar sind. Wichtig ist es, immer wieder im öffentlichen Raum aktiv zu werden. Viele positive Erfahrungen ergeben sich erst durch das Machen und sind nicht unbedingt vorher vorstellbar oder fassbar.'

 

Öffentlicher Raum ist demokratischer Raum

 

Martina Reuter:

'Wenn gesagt wird, der öffentliche Raum lasse sich nicht definieren, halte ich dagegen. Anders als die Kunst, die sich schwer definieren lässt, gibt es für den öffentlichen Raum eine ganz einfache Definition. Diese klingt zwar banal, aber man kann einige Dinge an ihr festmachen: Der öffentliche Raum definiert sich - im Gegensatz zum privaten Raum - durch das demokratische Prinzip. Und das bedeutet im Idealfall zum einen, dass ich diesen öffentlichen Raum nutzen kann. Zum anderen habe ich ein Mitbestimmungsrecht: zum Beispiel dadurch, dass ich eine Partei wähle, die versucht, den öffentlichen Raum in meinem Sinne zu gestalten. Es muss nicht meine favorisierte Partei gewinnen, aber ich nutze einen minimalen Spielraum an Mitbestimmung. Des weiteren kann ich in gewissem Sinne etwas verhindern. In Wien gibt es diese Tradition der Verhinderung, die ja auch ein demokratisches Prinzip ist. Sobald dort jemand etwas Neues initiieren will, sei es in Sachen Architektur, sei es eine Installation im öffentlichen Raum, bildet sich - noch bevor etwas beschlossen werden konnte - eine Bürgerinitiative, die das verhindern will. Das entspricht nicht immer meinen Wünschen, ist aber letztendlich ein demokratisches Prinzip. Aber meines Erachtens gibt es einen Verlust des öffentlichen Raumes, nämlich dort, wo meine bürgerlichen Rechte, wie Mitsprache- oder Beschwerderecht, einfach durch die Privatisierung beschnitten werden, beziehungsweise dann, wenn sich die öffentliche Hand zunehmend zurückzieht, ich denke in Berlin ebenso wie in Wien. Passiert irgend etwas, habe ich kaum noch die Chance, mich irgendwo zu beschweren. Immer öfter heißt es: Dafür sind wir nicht zuständig. Ein Beispiel: Wolfgang Zinggls Fahrrad, das er an ein Verkehrsschild angeschlossen hatte, war einfach verschwunden. Denn die Stadt Wien hatte dieses Verkehrsschild entfernt und sein Fahrrad gleich mit. Da nun der Abbau der Verkehrsschilder nicht mehr die Stadt selbst, sondern ein Privatunternehmen übernommen hatte, war es Wolfgang nicht möglich, sein Fahrrad wieder zu bekommen. Dies ist nur ein kleines Beispiel. Ich denke daher, dass sich im öffentlichen Raum nicht nur ein Wandel vollzieht, sondern dass es auch einen Verlust an öffentlichem Raum - als demokratischen Raum - gibt. Abgesehen von dieser für mich sehr wichtigen Definition des öffentlichen Raumes, existiert natürlich der öffentliche Raum auch als physischer Raum, der durch Stadtplaner und Architekten bis hin zu den visuell präsenten, von Grafik-Designern entworfenen Logos gestaltet wird. Und es gibt den gesellschaftlichen öffentlichen Raum. Das ist der, der durch Gesetze und Regeln, durch Traditionen und Verhaltensmuster sowie durch die verschiedenen Kulturen geprägt und bestimmt wird.'

 

Öffentlicher Raum ist durch 'bürgerliche' Vorstellungen geprägt

 

Andrea Knobloch:

'Für meine Arbeit ist es interessant, öffentliche Räume zunächst erst einmal in ihrer Realität wahrzunehmen und zu beobachten, wie sie tatsächlich genutzt werden und wo sich daraus Ansatzpunkte für eine Arbeit oder für eine Bearbeitung finden lassen. Diese muss aber nicht zwangsläufig visionär sein. Im Gegenteil: Ich würde mich davor scheuen zu sagen, es läge in der Verantwortung von Künstlern, eben diesen visionären idealen Raum zu suchen und zu entwerfen. Ich würde eher darüber nachdenken, wie die Idee von Öffentlichkeit von der Vorstellung eines bürgerlichen öffentlichen Raums befreit werden kann. Mein Eindruck ist, dass die 'Materialisierung von Stadträumen', also ihre tatsächliche Gestaltung, eben immer noch auf das bürgerliche Ideal bzw. das Ideal der europäischen Stadt hinauslaufen. Und das kann nicht adäquat sein, weil es diese Bürgergesellschaft nicht mehr gibt. Es ist eine Herausforderung zu überlegen, ob die Gestaltungen von städtischen Räumen, wie sie heute vorgenommen werden, und die Strukturen, in denen dies stattfindet, Ansatzpunkte für eine künstlerische Arbeit liefern, die sie bildhaft oder tatsächlich aktiv aufbrechen.'

 

Öffentlicher Raum ist Raum des 'kollektiven Bewusstseins'

 

Matthias Schamp:

'Bei meiner Arbeit betrachte ich öffentlichen Raum als Raum des kollektiven Bewusstseins, als mental space im Gegensatz zum physical space. Natürlich sind diese Räume miteinander verbunden, aber ich finde den Raum spannend, der durch und mittels Kommunikation entsteht. Dieser Raum existiert ganz unabhängig von öffentlich verfügbaren Leerflächen zwischen Gebäuden oder wie immer man diesen physical space definiert, sondern ist ein Raum, der sich dann ausgestaltet, sobald er bewusst wird. Deshalb stelle ich mir bei meiner Arbeit die Frage: Wie kann ich die Kunst in diesen Raum des öffentlichen Bewusstseins implantieren?'

 

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II. Die Mall und die Stadt

 

Shopping-Malls oder Einkaufszentren, wie sie früher hießen, sind ein beliebtes Beispiel für die Vorspiegelung des öffentlichen Raums im privaten Raum. Wegen ihres perfekt erscheinenden Konsumklimas werden sie für die Gestaltung städtischer Einkaufszonen zunehmend als Ideal herangezogen. Malls spielen daher nicht nur eine wichtige Rolle als Grenzgänger zwischen öffentlichem und privatem Raum, sondern auch bei der Veränderung des öffentlichen (Straßen-)Raums.

 

Andrea Knobloch:

'Die Mall ist eine wirtschaftliche Unternehmung mit dem Ziel, aus den Menschen, die sich dort aufhalten, so viel Profit wie möglich zu schlagen. Der öffentliche Stadtraum unterscheidet sich hierin vielleicht nicht wesentlich, aber er ist immer noch ein Raum, der einer demokratischen Strukturierung unterliegt und deshalb ein Raum, wo ich mehr Möglichkeiten habe, Entwicklungen zu beeinflussen. Das ist für mich der springende Punkt bei der Gegenüberstellung von Stadtraum und Shopping-Mall.'

 

Veronika Kellndorfer:

'Eine Mall bildet einen kleinen überschaubaren Bereich, der unter bestimmten Aspekten durchfunktionalisiert werden kann. Das, was in Malls durchgespielt wird, ist keine Erfindung der Mall, sondern eine Idee des öffentlichen Raumes, die sich in der Mall zuspitzt. Deshalb kann ich die gängige These, dass sich das in Malls manifestierende 'Böse' auf den öffentlichen Raum überträgt, nicht unterstützen. Unter soziologischen Aspekten finde ich es interessanter zu untersuchen, wie ganz im allgemeinen der Raum in der Mall praktisch und unter funktionalen Gesichtspunkten strukturiert wird und welche Übertragungsmechanismen auf den öffentlichen Raum dann stattfinden.'

 

Kathrin Böhm:

'Zumindest für England kann ich folgende Beobachtung bestätigen: Die Träger der Shopping-Malls haben die Finanzkraft, Funktionen zu übernehmen, die die Kommunen nicht mehr abdecken wollen oder können, beispielsweise die Überwachung und die Bewachung von öffentlichem Raum. Diese Zuständigkeit, die in den 50er und 60er Jahren noch die Kommunen für sich beanspruchten, sind dann durch private Träger übernommen worden. Ich glaube, dass man aus den Erfahrungen in England etwas lernen kann, auch wenn man prinzipiell die Privatisierung von öffentlichen Funktionen ablehnt: Wie werden vormals staatliche Zuständigkeiten aufgrund unterschiedlicher Finanzkraft und unterschiedlichem Interesse verschoben? Wie kommt es, dass sie dann dennoch etwas bieten, was als öffentlicher Raum bezeichnet werden kann und von einem breiten Teil der Bevölkerung auch als solcher anerkannt wird?'

 

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Die Mall und die Kids

 

Viele Jugendliche mögen die Shopping-Mall und halten sich in ihrer Freizeit täglich dort auf. 'Mall-Rats' werden in den USA diejenigen von ihnen bezeichnet, die sich in der Mall treffen und nichts konsumieren. Würden sie wenigstens ins Kino gehen oder ab und zu eine Cola kaufen, wäre nichts gegen sie einzuwenden. Die Stadtsoziologie hingegen begreift die Mall auch als einen Ort, wo Jugendliche sozialisiert werden.

 

Peter Arlt:

'Für bestimmte Gruppen, beispielsweise für Jugendliche, ist die Mall durchaus von großem Interesse. Ich finde es spannend zu untersuchen: Warum finden sie diesen Raum verlockend? Vielleicht, weil sie dort etwas ausprobieren können! Vielleicht, weil sie sich dort freier oder weniger kontrollierter bewegen können als auf der Straße.'

 

Birgit Schumacher:

'Mich überrascht es, dass die Sozialisation, wie sie in den Malls stattfindet, positiv bewertet wird. Wird man in der Mall nicht in erster Linie zum Konsumenten sozialisiert und nicht zu einem Mitglied der Gesellschaft, für das es - um es einmal plakativ zu sagen - auch ein Leben außerhalb der Mall gibt?!'

 

Peter Arlt:

'Natürlich gibt es die Kritik, dass Jugendliche durch die Malls zu Konsumtrotteln erzogen werden. Ich glaube nicht, dass Kids, nur weil sie in der Shopping-Mall abhängen, mehr kaufen werden als andere Jugendliche. Das ähnelt mir zu sehr der These, 'wenn man im Fernsehen viel Gewalt sieht, dann wird man auch gewalttätig'.'

 

Andrea Knobloch:

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'Shopping-Zentren sind für Jugendliche außerordentlich attraktiv, weil es Orte sind, an denen sie - alleine dadurch, dass sie sich dort treffen - provozieren können. Sie entwickeln dort einerseits Techniken der Provokation und andererseits Techniken des 'Trotzdem-da-sein-Könnens'. Das ist eine Art von vergnüglicher Spielformation: Wie bewege ich mich unter Menschen, die ich allein schon durch meine Präsenz aufregen kann.'

 

Veronika Kellndorfer:

'Vielleicht kann man sagen, in der Mall setzt sich der virtuelle Raum, den die Jugendlichen vom Computer her kennen, fort. Das ist natürlich spekulativ, aber ich glaube, dass in der Mall exemplarisch bestimmte Dinge durchgespielt werden.'

 

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Die Mall wirkt auf die Stadt

 

Es mehren sich Anzeichen, dass öffentlicher Stadtraum der Gestalt der Malls immer ähnlicher wird: Nicht nur das Waren- und Dienstleistungsangebot auf der Straße wird - wie in den Malls - immer homogener, öffentlicher Stadtraum nähert sich auch in seiner baulichen und ästhetischen Ausrichtung zunehmend den Malls an und adaptiert - möglicherweise - in allerletzter Konsequenz die in ihnen herrschenden Regel- und Kontrollmechanismen.

 

Birgit Schumacher:

'Wenn ich sage, 'die Stadt wird zur Mall', meine ich damit, dass auch die Bereitschaft, auf der Straße stärkere Restriktionen zu tolerieren, zunehmen wird. Denn dies wird in den Malls ja vorgemacht und praktiziert. Anders ausgedrückt: Die Hemmschwelle, restriktive Strukturen ebenso auf der Straße zu akzeptieren, wird für den Einzelnen immer niedriger.'

 

Uwe Jonas:

'Das ist ein Automatismus: Die Leute rennen in die Mall, weil sie die Straße für zu unsicher und schmutzig halten. Damit die Straße noch 'angenommen' wird, versucht man sie eben sicherer zu machen und sie in ihrer Ästhetik der Mall anzupassen.'

 

Matthias Schamp:

'Ein Beispiel aus Bochum: Dort gibt es einen zentralen öffentlichen Platz in der Stadt, wo Jugendgruppen unterschiedlichster Szenen koexistierten. Darunter auch die Punker. Nun wurde dieser Platz nach und nach umgestaltet: Es siedelten sich Cafés an, und Bänke wurden demontiert. Die Punker setzten sich daraufhin eben auf die Pflanzenkübel, bis die Wirte einen Platzverbot aussprachen. Von den Punkern ging zwar keine Gewalt aus, doch waren sie für bestimmte Konsumentengruppen nicht schön anzusehen und für die Kneipiers sowieso uninteressant, weil sie ihr Bier immer selbst mitbrachten. Dies ist für mich ein klassisches Beispiel für einen Ausgrenzungsmechanismus, der mittlerweile in den Innenstädten sehr weit verbreitet ist, den ich nicht gut finde und nicht tolerieren will. In Bochum hatten die Geschäftsleute allerdings Pech, weil ein Punker eine Gegenstrategie entwickelte: Er hat für jeden Samstag eine Demo angemeldet. Das führte tatsächlich dazu, dass die Polizei dort immer einen Polizeiwagen mit zwei Beamten postieren musste. Die Punker taten das, was sie samstags immer taten: Laute Musik hören, Bier trinken und für ihr Recht demonstrieren, da zu sein. Das ging fast ein Jahr lang so. Der Punker schaffte es, 46 Samstag-Demos anzumelden. Im zweiten Jahr bekam er keine Genehmigungen mehr, mit dem Argument, es handele sich um keine Demonstration. Dies hat in Bochum eine sehr intensive politische Diskussion über die Frage von Öffentlichkeit und öffentlichem Raum initiiert. Eines wird hierbei klar: Es geht immer um Gruppierungen und unterschiedliche Interessen. Aber wie ausdifferenziert sind die Gruppen? Man definiert sich als Privatperson nicht nur durch eine einzige Gruppenzugehörigkeit, sondern dockt ja vielleicht auch an verschiedenste Szenen an. Deshalb glaube ich, dass sich die Frage stellt, wie monokausal ein Raum letztendlich benutzt wird und in wieweit er noch in der Lage ist, Unterschiede zu integrieren.

Innenstädte, zum Beispiel in Hamburg, sollen 'pennerfrei' werden. Auch aus Bahnhöfen werden mittlerweile bestimmte Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt. So hat es einmal auch ein Bahnhofsmanager klar formuliert: diese Räume sollen nur noch für eine 'qualifizierte' Öffentlichkeit zugänglich sein. Dies ist im Grunde eine Verhaltenspraxis, die von den Shopping-Malls schlichtweg nun auch auf andere Bereiche des öffentlichen Raums übertragen wird. Ich befürchte, dass diejenigen, die in der Mall Restriktionen erfahren, dieselben Mechanismen auf bestimmte Räume ihres eigenen Umfelds übertragen. Für mich könnte dies bedeuten, dass diese Räume zunehmend unsicherer für mich werden, wenn ich mich in ihnen aufhalte.'

 

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III. Öffentlicher Raum in künstlerischer Praxis und Strategie

 

Ein Charakteristikum des öffentlichen Raumes ist seine Wandlungsfähigkeit. Die künstlerische Intervention in einem solchen sich wandelnden und wandlungsfähigen Raum hat die Möglichkeit, auf die Mechanismen der Veränderung aufmerksam zu machen, wobei die Wahl des 'Werkzeugs' davon abhängt, ob man öffentlichen Raum eher physisch, sozial oder mental begreift - und in welche dieser Dimensionen interveniert werden soll. Die künstlerische Intervention, die sich mit sozialen Missständen auseinandersetzt, nahm im Diskurs breiten Raum ein und wurde insbesondere im Hinblick auf Möglichkeiten und Voraussetzungen einer nachhaltigen Überführung der künstlerischen in eine soziale oder planerische Praxis diskutiert.

 

Künstlerische Argumente ins Spiel bringen

 

Kathrin Böhm:

'Warum beteiligt man sich als Künstler an sozialen Prozessen? Ich meine, dass alle, die hier sitzen und diese Intention haben, behaupten, dass das, was sie machen, ganz klar als Kunst zu bezeichnen ist. Keiner von uns ist so dilettantisch und sagt, wir machen hier Pädagogik oder Sozialarbeit. Sabine Stöbesand, die auch an 'Park Fiction' I 2 I beteiligt war, hat einmal sehr gut formuliert, warum die Beteiligung der Kunst am Prozess 'Park Fiction' so wertvoll war: Plötzlich konnte man mittels anderer Argumente Entscheidungen treffen. Auch Poesie, Subjektivität oder Fantasie spielten plötzlich als Entscheidungskriterien bei der Planung und Ausführung des Projekts eine Rolle. Die Beachtung dieser Kriterien konnte wiederum dadurch rechtfertigt werden, dass Kunst beteiligt war - eine gute Argumentationskette, wie ich finde.'

 

Kunst im öffentlichen Raum als prozessuale Strategie

 

Leonie Baumann:

''Park Fiction' ist auch ein Beispiel dafür gewesen, wie man Kunst im öffentlichen Raum zu prozessualen Strategien umfunktionieren kann. Und das, finde ich, ist eine geniale Geschichte. Dies hätte nicht funktioniert, wenn es Architekten oder Landschaftsplaner versucht hätten. Weil sie sich nur in die Prozesse, die sowieso bekannt und tradiert sind, hätten eingliedern können.'

Martina Reuter:

'Ich sehe in erster Linie die Rolle der Kunst im öffentlichen Raum darin, Aufmerksamkeit zu erregen. Aber es gibt eine ungeheure Konkurrenz zwischen allem, was die Aufmerksamkeit im urbanen Raum auf sich lenkt. Dies bedeutet für die Kunst, dass sie Mittel, Wege und Medien finden muss, die nicht nur auf sie selbst aufmerksam machen, sondern auch darauf, dass man sie um ihrer selbst beauftragt hat. Bei der Kunst im öffentlichen Raum, die mir so bisher begegnet ist, ging es einerseits um die Aufmerksamkeitsmachung auf physische Räume, auf Orte und ihre Geschichte, aber zunehmend auch auf Defizite, Versäumnisse und Probleme, die durch Sozialpolitik entstanden sind. Wenn dies eine Funktion der Kunst ist - und sie wird in dieser Art und Weise sehr oft und sehr gut erfüllt von zahlreichen Arbeiten - dann schließt sich die Frage nach ihrer Wirksamkeit an: Welche Absicht haben die Arbeiten - und sind diese Arbeiten hinsichtlich ihrer Absichten gelungen? Wenn ich mit meiner Installation oder mit meiner Aktion auf etwas aufmerksam machen will, ist sie erfolgreich, wenn die Leute nicht gleichgültig bleiben oder verärgert sind? Die Arbeit vielleicht gar nicht bemerken? Oder ist die Arbeit gelungen, wenn Menschen angeregt werden, sich einzumischen? Und kann man an diese Wirksamkeit anschließen? Sollte man der Kunst nicht über die ästhetische Produktion hinaus noch ein zusätzliches Feld zutrauen? Dass sie in gesellschaftliche Begebnisse, kultur-, gesellschafts- oder umweltpolitische Angelegenheiten konkret eingreift, etwa im Sinne eines kleinen Modells?! Dass man versucht, ein Problem mittels der Kunst zu lösen, die Kunst sozusagen als Strategie verwendet? Dies bezieht sich natürlich auf den gesellschaftlichen öffentlichen Raum und weniger auf den Stadtraum als physischen Raum.'

 

Adam Page:

'In Dresden sollten Kioske plötzlich aus 'Säuberungsgründen' aus dem Stadtraum entfernt werden. Wegen der Touristen. Es hieß: Sie passen nicht ins Stadtbild. Aber wenn ich an Deutschland denke, ist hier der Kiosk ein sehr treffendes symbolisches Beispiel für den Begriff der 'Öffentlichkeit' und den öffentlichen Raum: Am Kiosk teilt jeder mit jedem den gleichen runden Tisch. Der Typ mit dem Senf auf dem Schlips und der, der mit der Bierdose den halben Nachmittag dort verbringt. Das ist ein sehr schönes Bild von einer funktionierenden Öffentlichkeit, von Klassenebenen, die an einem Ort ganz gut miteinander auskommen. Dann haben Eva und ich gesagt: Okay, lass uns einen Kiosk bauen. Wir haben dieses Projekt zwei Jahre lang vorbereitet, Lobbyarbeit geleistet mit dem Kulturamt und Geldgebern usw. Wir haben den Jury-Mitgliedern der Kunstkommission so gut zugearbeitet, dass das Projekt ermöglicht wurde. Und dies ist, denke ich, eine Art Strategie vor Ort, die man verfolgen kann. Auf diese Weise konnten wir gezielt in eine Planungsstruktur eingreifen und etwas beeinflussen. Ich denke, das kann aber nur gelingen, wenn man sich in einem Terrain gut auskennt.'

 

Kunst als Sprachrohr für gesellschaftliche Themen

 

Kathrin Böhm:

'Ich glaube, es ist eine völlig falsche Annahme, dass sich die meisten Leute nicht dafür interessieren, womit wir uns als Künstler beschäftigen. Sie interessieren sich nicht unbedingt dafür, dass wir das als Kunst machen. Aber sie haben durchaus ein Interesse an den Themen, die bearbeitet werden. Wenn wir dies entsprechend kommunizieren, dann ist es natürlich sehr viel einfacher, gemeinsame Interessen zu finden.'

 

Monica Schümer Strucksberg:

'Ich glaube, dass die oft geäußerte Aussage, der 'Normalbürger' akzeptiere die Kunst nicht oder verstünde sie nicht, falsch ist. Er versteht sie und er nimmt sie eher auf, als wenn ich zum Beispiel über bürokratische Entscheidungsprozesse referiere oder beschreibe, wie diese beeinflusst werden können. Die Offenheit, Kunst tatsächlich wahrzunehmen und Künstlern auch zuzuhören, ist viel größer, als meist angenommen wird.'

 

Die Situation bestimmt die Form

 

Adam Page:

'Bei unserem Kiosk-Projekt in Dresden haben wir festgestellt, dass im Stadtteil das Interesse des Publikums größer war als in der Innenstadt. In der Innenstadt gibt es ein Überangebot an Aktivitäten, so dass es schwer war, zwischen den kommerziellen und unseren zu unterscheiden. Wahrscheinlich auch wegen der Form der Präsentation als Kiosk. Wir glaubten, dass die Leute in der Innenstadt einfach keine Zeit hätten, sich auf unser Projekt zu konzentrieren. Doch man sollte sich fragen: Wünscht sich die Kunst im öffentlichen Raum in diesen interventionistischen Formen überhaupt ein konzentriertes Publikum? Anders waren die Erfahrungen im Stadtteil, wo wir gearbeitet haben: Ein Plattenbaugebiet in Dresden-Prohlis mit 20.000 Einwohnern. Dort waren wir im Hinterhof zusammen mit Leuten, die täglich vorbei gingen und die einfach wissen wollten: Woher kommt ihr? Was macht ihr in unserem Kiez, in unserem Leben? Was hat das zu bedeuten? So wurden Gespräche überhaupt erst möglich. Deshalb müssen je nach Situation immer wieder verschiedene Formen gefunden werden. Formen, die der konkreten Situation, die wir vorfinden, gerecht werden.'

 

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Was passiert, wenn wir weg sind?

 

Künstler entwickeln Konzepte für temporäre Interventionen (im besten Falle vor Ort), realisieren diese Interventionen (im besten Falle selbst und in der Regel in einem definierten Zeitrahmen) und verabschieden sich danach wieder vom Ort des Geschehens und den Personen, die in das Projekt involviert waren. Wie aber kann es gelingen, den Aktivitäten nachhaltige Wirkungen zu verleihen - wenn dies, etwa bei sozialen Interventionen, gewollt ist? Welche Voraussetzungen müssen überhaupt gegeben sein, eine Dauerhaftigkeit von Interventionen zu gewährleisten?

 

Die Zielsetzung entscheidet

 

Matthias Schamp:

'Es ist zunächst eine Frage der künstlerischen Zielsetzung. Es kann doch zum Beispiel keine künstlerische Zielsetzung sein, einen Platz in seiner Architektur zu verändern. Es kann aber die künstlerische Zielsetzung sein, für eine Veränderung zu sensibilisieren.'

 

Monica Schümer-Strucksberg:

'Diese Diskussionen finden bei uns auch statt. Denn natürlich fragt der Rechnungshof: Wo ist die Nachhaltigkeit? Das, was wir mit all diesen Aktionen vorhaben, sind 'Investitionen in die Köpfe'. Wir haben diese zwei Worte miteinander verbunden, aber wir haben es schwer nachzuweisen, dass ein solches Programm wie 'Investitionen in die Köpfe' langfristig sogar wirkungsvoller ist als andere Aktivitäten, um grundsätzliche gesamtgesellschaftliche Probleme zu lösen. Und zwar in einem bestimmten Raum. Vielleicht wird uns die Entwicklung irgendwann Recht geben, aber wir werden es nie mit hundertprozentiger Sicherheit überprüfen können. In jedem Fall wird die Nachhaltigkeit bei den Diskussionen über die Projekte, die veranstaltet werden und die wir finanzieren, immer wieder thematisiert.'

 

Wolfgang Zinggl:

'Die Zielsetzung kann sehr unterschiedlich sein. Wenn meine Intention ist, jemanden für einen Tag zu provozieren oder für eine Nacht eine Intervention durchzuführen, um auf etwas hinzuweisen und es gelingt, dann habe ich mein Ziel erreicht, und alles ist in Ordnung. Es gibt aber durchaus Künstlerinnen und Künstler, denen das zu wenig ist. Die sagen: Wir würden gerne etwas ein wenig längerfristig einsetzen. Ein Beispiel: Wenn wir eine Einbahnstraße hätten, die unserer Ansicht nach den Verkehr in die falsche Richtung lenkt, und alle im Quartier sich darüber ärgern, könnten Künstler jetzt hergehen und einen agitatorischen subversiven Akt begehen. Sie würden über Nacht das Einbahnschild umdrehen. Die Bevölkerung würde darüber lachen und es gut finden - ganz im Sinne der Künstler. Am nächsten Tag wird das Schild von der Polizei wieder zurückgedreht und alles ist wie vorher. Dennoch wurde die Grundintention der künstlerischen Aktivität erfüllt. Andere Künstler könnten sagen: Wir wollen zumindest einmal für eine Woche - im Sinne einer Ausstellung und mit Unterstützung einer Kunstinstitution - das Schild umdrehen, um zu zeigen, welche positiven Auswirkungen eine längerfristige Veränderung des Verkehrskonzeptes hätte. Schließlich gäbe es noch eine dritte Variante: Die Künstler und Künstlerinnen haben die Intention, das Einbahnschild möglichst langfristig - wenn auch nicht für alle Ewigkeit - umzudrehen. Dazu gehört allerdings, dass man sich der Modalitäten - in diesem Falle der ganzen gesellschaftlichen Hürden durch Politik, Medien, Bevölkerung, rechtspopulistische Agitationswetter etc. - bewusst ist. Das sind Materialien, das sind die Werkzeuge. Ich kann als Maler ja auch nicht sagen: Ich wünsche mir, dass alle zwölfjährigen Mädchen vor meinem Bild weinen. Dann weinen sie nicht und ich sage: Hier funktioniert das eben nicht. Doch in diesem Falle habe ich als Maler versagt, weil ich die Möglichkeiten, die ich hatte, nicht ausgeschöpft habe. Es ist immer eine Frage von Intention und Erfüllung, und ob man sich der Werkzeuge bewusst ist.'

 

Die Intention einer Überführung muss konzeptionell verankert sein und klar kommuniziert werden

 

Uwe Jonas:

'Die Verstetigung eines Projekts muss bereits konzeptionell verankert werden. In die Konzepte von 'WochenKlausur' zum Beispiel ist es bereits implementiert, dass auch institutionelle Träger gefunden werden müssen, die die Arbeit in ihr Programm übernehmen und dadurch die Verstetigung in der Praxis umsetzen.'

 

Martina Reuter:

'Wir versuchen während der Projektphase die langfristige Finanzierung dessen, was initiiert wurde, sicher zu stellen. Unser Bus zur medizinischen Versorgung der Obdachlosen in Wien wird zum Beispiel heute von der Caritas betrieben. Sie hat sich verpflichtet, ihn zu übernehmen. Die Ärzte bezahlt die Stadt Wien. Die Anstrengung, ein Projekt in die Längerfristigkeit zu überführen, ist bei unserer Arbeit ein Muss. Natürlich kann es passieren, dass etwas nicht gelingt. Dann müssen wir sagen: Es war nicht wirksam.'

 

Kathrin Böhm:

'Wenn eine Arbeit die Intention hat, dass sie längerfristig wirken oder sogar weitergeführt werden soll, muss dies durch den Künstler von Anfang an kommuniziert werden. Denn meist wird ja gar nicht vermutet, dass dies beabsichtigt ist. Es wird davon ausgegangen, dass man als Künstler da etwas macht, was nur für einen selbst schlüssig und gut ist, und dann geht man wieder. Die erste Voraussetzung wäre also, dass man seine Intention ganz klar kommuniziert und sehr gut analysiert. Zum Beispiel: Wo gibt es Schnittstellen mit anderen Institutionen oder anderen Trägern in der Gegend? Auch muss von Anfang an sehr offen die Einladung ausgesprochen werden, dass sich andere beteiligen können. Denn wie gesagt, die meisten glauben, dass Künstler ihre Arbeit nicht aus den Händen geben wollen und nicht zulassen wollen, dass sie weitergetragen wird.'

 

Andreas Lang:

'Das ist genau der Moment, den wir in verschiedenen Projekten ausbauen möchten. Denn dann wird es auch planerisch interessant: Wie kann eine künstlerische Praxis in die Planung eines öffentlichen Raums eingehen? Ich denke, dass die Weiterleitung eines Projektes sehr wichtig sein kann und die Überlegung, wie dies stattfinden könnte. Ich glaube nicht, dass der Künstler für ewig daran beteiligt sein muss. Wenn der Künstler im weiteren Verlauf beteiligt sein muss oder möchte, merke ich oft, dass sich seine Rolle verändert. Auf einmal ist er nicht mehr der Agierende auf der Straße, sondern übernimmt eher die Rolle eines 'Consultants'. Dieser Rollenwechsel muss dann ganz klar neu beschrieben werden.'

 

 

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I 1 I   Peter Arlt (Stadtsoziologe, Linz) begleitete das Sympo-sium durchgehend und moderierte einzelne Diskussionen; Leonie Baumann (Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Berlin) und Monica Schümer-Strucksberg (Senat für Stadtentwicklung, Berlin) waren am zweiten Tag unsere Gäste.
 
I 2 I   AnwohnerInnen des Elbhangs im Hamburger Stadtteil St. Pauli hatten - in einem Verein organisiert - die millionenschwere Bebauung des Hangs verhindert und stattdessen einen selbstverwalteten Park mit Blick auf die Elbe durchgesetzt. Unter Beteiligung von KünstlerInnen konnte mit Park Fiction ein 'radikal beteiligungsorientiertes Planungsverfahren' eingeleitet werden, das ab 1997 aus Mitteln des Programms "Kunst im öffentlichen Raum" der Kulturbehörde Hamburg finanziert wurde. (Vgl. AG Park Fiction: Aufruhr auf Ebene p. In: Marius Babias/Achim Könneke [Hg.] [1998]. Die Kunst des Öffentlichen. Amsterdam/Dresden: Verl. der Kunst, S. 122

 

 

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